8.5.2025, 11 Uhr
„Am meisten fliegen die Gedanken nach Moskau“ – Das Kriegstagebuch von Konrad Wolf

Kriegstagebuch von Konrad Wolf mit den Fotos seiner Eltern Friedrich und Else Wolf, 1943
Der Filmregisseur und langjährige Präsident der Akademie der Künste der DDR Konrad Wolf war als junger Mann Soldat in der Roten Armee. In dieser Zeit hat er Tagebuch geführt. Ein berührendes Dokument über den Schrecken des Krieges.
„Eine Bombe von etwa einer Tonne hatte ein Haus an einer Ecke getroffen. Das ganze Haus war auseinandergeflogen, Schutt und Asche. Stöhnen war zu hören. [...] einige Leichen waren schon ausgegraben. Auf den Resten ihres Hauses saß eine alte Frau, ganz weiß vor lauter Kalk. Laut sprach sie ein Gebet, das bald Gesang, bald Wehklage war.“
Diese schockierenden Eindrücke von der Brutalität des Krieges waren die ersten, die der gerade 17 Jahre alte Rotarmist Konrad Wolf in sein Tagebuch notierte. Die Seiten sind eng beschrieben, er notierte auf Russisch, das er inzwischen besser beherrschte als die deutsche Sprache.
Denn Wolf war in Deutschland geboren worden. Sein Vater war der kommunistische Schriftsteller und Arzt Friedrich Wolf, der 1933 aus Nazideutschland emigrieren musste. Gemeinsam floh die Familie zunächst nach Frankreich und im Jahr darauf nach Moskau. Die Sowjetunion und ihre Menschen wurden für Konrad Wolf zur neuen Heimat. Daher war es für ihn selbstverständlich, diese nach dem Überfall Nazi-Deutschlands als Soldat zu verteidigen. In der Roten Armee nahm er allerdings nicht direkt an Kampfeinsätzen teil, sondern übersetzte erbeutete Dokumente und verhörte Kriegsgefangene. Später wurde er hinter der Frontlinie auch als Sprecher eines Lautsprecherwagens eingesetzt, wodurch deutsche Soldaten zum Überlaufen überredet werden sollten.
In seinem Tagebuch notierte Wolf überwiegend Alltägliches, beschönigte oder verschwieg in naiver Unbekümmertheit dabei nichts, weder Benzinknappheit noch schlechte Vorgesetzte. Und immer wieder ärgerte er sich über Ausrüstungsmängel bei der Truppe: „Meine Stiefel sind nun endgültig hinüber.“
Zu seinen Aufgaben zählte auch das Abhören ausländischer Rundfunknachrichten. Sobald diese vorüber waren, überkam ihn regelmäßig eine große Sehnsucht nach seinem Zuhause: „Am meisten fliegen die Gedanken nach Moskau, nach dem fernen, heimatlichen Moskau. Das entspricht am besten der süßlichen, schwermütigen Musik, die abends und nachts am häufigsten durch den Äther fließt.“
Und immer wieder geht es in seinen Eintragungen um seine ehemaligen Landsleute und deren Gräuel in der Sowjetunion: „Die Einwohner erzählen schreckliche Dinge von den Deutschen. Es ist einfach unglaublich, dass Menschen zu solchen Bestialitäten fähig sind. Das Wort Deutscher wird im Volke als Schimpfwort gebraucht. Mit ihm wird den Kindern gedroht [...] Es ist schrecklich aber wahr.“ Wolfs Tagebucheintragungen enden im April 1945 kurz vor der entscheidenden Schlacht um Berlin, deren Wiederkehr sich in diesem Jahr zum 80. Mal jährt.
Nach dem Krieg avancierte Konrad Wolf zu einem der wichtigsten deutschen Filmregisseure, der von 1965 bis 1982 zudem das Amt des Präsidenten der Akademie der Künste der DDR bekleidete. Seine Kriegserlebnisse verarbeitete er in dem Film Ich war neunzehn (1967), einem eindrücklichen Plädoyer gegen die Schrecknisse und die Brutalität des Krieges.
Die Kriegstagebücher befinden sich heute im Konrad-Wolf-Archiv der Akademie der Künste, wo sie seit dem Frühjahr auch in vollständig digitalisierter Form vorliegen.
Ansprechpartner: Torsten Musial

Konrad Wolf, 1943