O.E. Hasse-Preis 2014
Preisverleihung im bat Studiotheater
Die O.E. Hasse-Stiftung vergibt den O.E. Hasse-Preis 2014 an Marcel Kohler, Schauspielstudent der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ (Foto: Mathias Bothor). Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert und wird im jährlichen Wechsel an Studierende der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin und der Münchner Otto-Falckenberg-Schule vergeben, um herausragende Begabungen zu fördern.
Die Auszeichnung erhält der 1991 in Mainz geborene Kohler für das feinnervige, intelligente Charakterspiel, das seine Erarbeitungen etwa des Franz Moor in Schillers Die Räuber, des Robespierre in Büchners Dantons Tod oder des Franz Biberkopf in Döblins Berlin Alexanderplatz prägt. In Stefan Kimmigs Inszenierung der Wassa Schelesnowa von Gorki ist er bereits am Deutschen Theater Berlin als Wassas Assistent Alexander neben Corinna Harfouch zu sehen.
Die Preisverleihung findet im Anschluss an die Vorführung eines Szenenstudiums von Studierenden des 3. Studienjahres der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ am 17. September im bat Studiotheater statt: Berlin Alexanderplatz nach Alfred Döblin unter der Regie von Angelika Waller. Akademie-Mitglied Klaus Völker hält die Laudatio.
Der O.E. Hasse-Preis wird seit 1981 von der O.E. Hasse-Stiftung vergeben, die von der Akademie der Künste betreut wird. Die Akademie erfüllt damit das Vermächtnis des Bühnen- und Filmschauspielers Otto Eduard Hasse (1903-1978), der eine Geldsumme für Preise zur Förderung des Schauspielernachwuchses bestimmt hatte. Das Auswahlgremium für die Preisvergabe setzt sich aus Mitgliedern des Vorstands der Stiftung zusammen. Zum Vorstand gehören die Vorsitzenden Klaus Missbach (Geschäftsführender Dramaturg des Wiener Burgtheaters) und Max Wiener (Zürich) sowie Klaus Völker (Dramaturg, Berlin), der Mitglied der Sektion Darstellende Kunst der Akademie der Künste ist. Die Preisträger der letzten Jahre waren Anna Drexler (München, 2012), Maximilian Jaenisch (Berlin, 2011), Peter Fasching (München, 2010) und Lucie Heinze (Berlin, 2009).
Der Vorstand der O.E. Hasse-Stiftung mit dem Preisträger in der Bar des bat Studiotheaters, von links: Marcel Kohler, Max Wiener, Klaus Missbach und Klaus Völker.
Marcel Kohler nach der Übergabe der Urkunde. Fotos: Akademie der Künste
O.E. Hasse-Preis 2014 / Laudatio von Klaus Völker für Marcel Kohler
Marcel Kohler wurde 1991 in Mainz geboren, 2011 begann er sein höchst erfreulich und erfolgreich verlaufenes Studium in Berlin. In der Rolle des Franz Biberkopf in dem Szenenstudium „Berlin-Alexanderplatz“, erarbeitet von Angelika Waller, das wir eben gesehen haben, fiel mir Marcel Kohler bereits im November 2012 als ein bemerkenswertes Talent auf, damals schien mir die Besetzung höchst ungewöhnlich schon vom Typ her, denn Alfred Döblins Roman von 1929 wurde ja schon keine zwei Jahre nach seinem Erscheinen verfilmt, und die Besetzung der Hauptrolle mit Heinrich George erwies sich als zwingend: er war ein Vitalitätsbolzen und Kraftkerl, im Inneren aber doch ein Weichei, nicht so recht geschaffen für die Kondition des Stehaufmännchens, die von ihm verlangt wird.
Als Stellvertreter Georges auf Erden schwitzte und schnaubte sich vor vielen Jahren Ben Becker im Gorki-Theater berlinernd durch die Stationen des Stücks. Kohler war intelligent genug, es nicht einmal in dieser Richtung zu versuchen, sondern hielt sich an den Text und die glasklare Phantasie des Autors, eine Figur zu erschaffen, die vom Leben mächtig angefasst wird, der die Lehre erteilt wird: „Man fängt nicht sein Leben mit guten Worten und Vorsätzen an, mit Erkennen und Verstehen fängt man es an und mit dem richtigen Nebenmann.“
Kohler schafft sich eine Figur ganz ohne Klischees, er lässt sie entstehen, er versichert sich seiner Rolle im beobachtenden Zusammenspiel mit den Partnern, dem Nebenmann, der Nebenfrau. Für ihn ist es wichtig, einen Regisseur zu haben, der ihm zusieht, der merkt oder auch weiß, was in ihm „steckt“, welche Möglichkeiten, welchen passenden „Kick“ die Rolle durch ihn bekommen kann.
Marcel Kohler profilierte sich in den letzten beiden Studienjahren als feinnerviger, intelligenter Charakterspieler, seine Partner immer in überraschendes Zusammenspiel verwickelnd: etwa als Franz Moor in Schillers „Die Räuber“ (in einem Szenenstudium von Steffi Kühnert), als Palästinenser Da’du in „Vermummte“ von Ilan Hatsor und als Robespierre in Georg Büchners „Dantons Tod“, beide Rollen gearbeitet mit Christian Grashof, der seinerzeit im Deutschen Theater in der Regie von Alexander Lang sowohl Danton als auch Robespierre verkörpert hatte, wodurch deutlich wurde, dass „Dantons Tod“ das Stück eines Autors ist, der zeigen will, was von den Ideen und Haltungen der Heroen der Revolution in der nachrevolutionären Gegenwart von 1830 geblieben ist, ob sie den erwarteten gesellschaftlichen Fortschritt oder eher Unglück gestiftet haben.
Der Robespierre von Marcel Kohler hatte etwas vom Geist und vom Atem jener Inszenierung, er war ein zartfühlender Intellektueller, ein ausgeglühter Terrorist, aber auch einer, der zu rühren vermag, ein bettelarmer Mönch und keuscher Mensch, „nichts als Schatten: den eine Gottheit warf“, wie Gertrud Kolmar ihn in einem Gedicht porträtiert hat. Jener „Schatten“ war das Gewissen, das dieser Robespierre nicht ausblenden konnte noch wollte, denn sonst wäre er „der unglücklichste aller Menschen“. Fragil und skizzenhaft. Vorbildlich in einer bewussten Unfertigkeit.
Auch der Mauler in Brechts „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ wurde von Marcel Kohler hervorragend gemeistert, nur die Inszenierung begnügte sich damit, eine platt politische Aktualität des Stücks aufzuwirbeln, die Geschichten, die epischen Elemente der Fabel wurden nicht weiter verfolgt; Kohler durfte virtuos sein, mal diese und mal jene Rolle auch übernehmen, es blieb bei unverbindlichem Kollektivtheater, ohne dem Nebenmann, den Partnern wirklich Beachtung zu schenken, ohne die Sinnlichkeit der Figuren sich entwickeln zu lassen.
Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass Marcel Kohler am Ende seines dritten Studienjahres sich auch schon erfolgreich als Regisseur profilieren konnte, mit fünf seiner Kommilitonen erarbeitete er als Studioinszenierung hier im bat Heiner Müllers „Philoktet“. Er überzeugte mit einer klug durchdachten, die intellektuelle Brillanz ganz in eindringliche Körperlichkeit übersetzenden Regieführung.
Marcel Kohler wird seinen Weg machen. Möglichst nicht als „Senkrechtstarter“, sondern als Schauspieler und Regisseur mit kurvenreicher Karriere und vielen Umwegen. Als Gast spielt er bereits am Deutschen Theater in der Inszenierung Stephan Kimmigs von Gorkis „Wassa Schelesnowa“ die Rolle des die Geschäfte Wassas abwickelnden Assistenten Alexander.
Übrigens war O. E. Hasse, zu dessen Umwegen bis zum Schauspielstudium an der Schule Reinhardts ein abgebrochenes Jura-Studium gehörte, wie die meisten großen Schauspieler kein „Senkrechtstarter“. Ihm ist, nach erfolgreicher Ausbildung ein tolles Erstengagement an den Hamburger Kammerspielen entgangen, weil er, vom Talente-Einsammler Max Reinhardt verlockt, lieber einen bindenden Jahresvertrag mit dem Deutschen Theater unterschrieb, der ihm dann nur Einspringrollen und kleine Auftritte bescherte, allerdings in Aufführungen mit den besten Schauspielern wie Elisabeth Bergner, Walter Franck, Wilhelm Dieterle, Curt Bois, Oskar Homolka oder Helene Weigel. In dieser Lern-Spielzeit 1925/26 - danach bekam er dann ein Engagement nach Breslau - wirkte O. E. Hasse in sechs großen Produktionen des Hauses mit, darunter die Reinhardt-Inszenierungen „Die heilige Johanna“ von Shaw und „Der Kreidekreis“ von Klabund, deren „Star“ Elisabeth Bergner war. Und er hat außer in „Exzesse“, jener so erfolgreichen Uraufführung eines Stücks von Arnolt Bronnen durch die Junge Bühne, die in den Abendspielplan übernommen werden konnte, noch in drei weiteren „Junge Bühne“ - Produktionen gespielt, in „Geburt der Jugend“ von Bronnen, dann in „Baal“ von Brecht, auch von Brecht inszeniert sowie in Marieluise Fleißers „Fegefeuer in Ingolstadt“, Regie Brecht und Paul Bildt.
Diese Anfängerspielzeit war nochmals eine höchst anregende und aufregende Lehrzeit für O. E. Hasse. Nach zwei Spielzeiten mit guten Rollen in Breslau und in den Sommermonaten am Harzer Bergtheater entwickelte sich dann seine Schauspielerpersönlichkeit maßgeblich unter Otto Falckenberg an den Münchner Kammerspielen, zu deren Ensemble er bis 1939 gehörte.
Er brachte es in jenen Jahren mit kleinen und mittleren Rollen auch schon zu einem beachtlichen Filmruhm. 1939 wurde er wegen Verstoß gegen den § 175 angeklagt, er musste entlassen werden, war zwei Monate in Haft, erhielt dann lediglich ein Engagement am Stände-Theater Prag und wurde bald zum Militär einberufen. Es gelang ihm aber, durch Vermittlung von Kollegen für Filmrollen angefordert zu werden. Leider einmal auch für einen patriotischen Nazifilm, „Stukas“, doch Dreharbeit zog er dem Verheiztwerden an der Front vor. Nach Kriegsende gehörte Hasse zu den Künstlern, die in Berlin gleich wieder auf der Bühne standen: unter Jürgen Fehlings Regie spielte er in einem notdürftig hergerichteten Theatersaal den „Urfaust“, am Hebbel-Theater dann in „Pariser Leben“ unter der Regie von Walter Felsenstein, er war der Jupiter in Sartres „Die Fliegen“, inszeniert von Fehling, der Odysseus in „Der trojanische Krieg findet nicht statt“ von Giraudoux, später folgten im Schlosspark-Theater bei Barlog der General Harras in Zuckmayers „Des Teufels General“ und der Wallenstein in Schillers Drama.
Mit der Zeit war das Filmen für Hasse künstlerisch attraktiver, er reüssierte in amerikanischen und später auch in französischen Produktionen. Von 1934 bis 1975 spielte er in über 60 Kinofilmen mit. Die amerikanischen Filme machten ihn berühmt: „Decision before Dawn“ (“Entscheidung vor Morgengrauen“) von Anatole Litvak mit Hildegard Knef, Hans-Christian Blech, Richard Basehart, Oskar Werner; dann „The Big Lift“ („Es begann mit einem Kuss“) als Partner von Montgomery Clift, und ein weiteres Mal mit Clift drehte er dann 1951 unter Hitchcocks Regie „I confess“ „Ich beichte“). Dann war er Partner von Clark Gable und Lana Turner in „Betrayed“ („Verraten“).
1954 bekam er schließlich die Hauptrolle in „Canaris“, die Rolle des Admirals machte ihn zum populären Star und bescherte ihm weitere Offiziersrollen, so dass er in einem Interview spottete: „Obwohl ich für Soldaten und Krieg nichts übrig habe, selbst höchst ungern nur Soldat war, scheinen Soldaten-Rollen wohl mein Schicksal zu sein. Seit der Krieg zu Ende ist, komme ich beim Film aus der Uniform nicht mehr heraus.“ Er meinte hier vor allem die Rollen in „O8/15“ und „Der Arzt von Stalingrad“. In französischen Filmen war er Kaiser Wilhelm II. in „Arsène Lupin, der Meisterdieb“ von Jacques Becker, Baron von Bergen in „Spuren in die Vergangenheit“ von Roger Vadim oder der Atomwissenschaftler Vogel in „Spione am Werk“ von Henri Clouzot. Wenn die Regisseure Jean Renoir („Der Korporal in der Schlinge“) oder Marcel Carné („Drei Zimmer in Manhattan“) hießen, verschmähte Hasse auch so genannte Chargenrollen nicht, denen er immer besonderen Glanz zu geben wusste.
In den Drehpausen stand er auch immer wieder auf der Bühne. Fast zwei Jahre tourte er mit Elisabeth Bergner durch viele Länder Europas und Amerikas in dem Stück „Geliebter Lügner“(er spielte den Dramatiker Shaw, sie die Schauspielerin Stella Campbell), er war der Schwitter in Friedrich Dürrenmatts Stück „Der Meteor“, Mr. Antrobus in Thornton Wilders „Wir sind noch einmal davon gekommen“ (Regie Hans Bauer), der Cäsar in Shaws „Cäsar und Cleopatra“. Ganz großartig war dann O. E. Hasse noch in zwei Inszenierungen von Peter Zadek: in Bochum spielte er den Hamsun in dem Stück „Eiszeit“ von Tankred Dorst und an der Freien Volksbühne in Berlin spielte er in Behans „Die Geisel“ Musjö. Die Aufführung der „Geisel“ inszenierte Zadek auch fürs Fernsehen, und 1975 verfilmte er „Eiszeit“ mit Hasse, Hannelore Hoger, Ulrich Wildgruber, Helmut Qualtinger, Heinz Bennent u. a.
Ich hoffe, dass Sie, lieber Marcel Kohler, O. E. Hasse in einigen der von mir hier stichwortartig in Erinnerung gebrachten Rollen gesehen haben, die Filme gibt es fast alle auf DVD, auch einige Fernsehaufzeichnungen von Bühneninszenierungen mit diesem besessenen Komödianten, dessen Name der Preis trägt, den Sie heute erhalten.
Herzlichen Glückwunsch!