13.9.2021, 11 Uhr
„Berlin ist glücklich, dieses kleine Haus der Verbindung zur Welt zu besitzen“
Die Wiedereröffnung der Villa Serpentara in Olevano
© Akademie der Künste
„Das kennst du doch“, dachte sich der Bildhauer Hubertus von Pilgrim beim Anblick der weiten mittelitalienischen Landschaft, als er im Herbst 1961 zum ersten Mal auf der Terrasse der Villa Serpentara in Olevano stand. Der junge Künstler war mit seiner Familie der Einladung der Akademie der Künste (West) gefolgt, im Rahmen eines Stipendiums einige Monate in Olevano Romano zu verbringen. Er war vorher nie dort gewesen, sein Déjà-vu-Erlebnis war seiner Kenntnis der Landschaftsmalerei geschuldet. Anfang des 19. Jahrhunderts war dieser als Ideallandschaft empfundene Landstrich von Künstlern aus verschiedenen europäischen Ländern entdeckt worden. Romantiker von Joseph Anton Koch über Franz Theobald Horny und Julius Schnorr von Carolsfeld bis Carl Blechen hatten im dortigen Eichenwäldchen, der Serpentara (Schlangenhain) gezeichnet, aquarelliert oder in Öl gemalt. Im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg war Hubertus von Pilgrim diese Landschaft, die er jetzt ausgebreitet vor sich sah, dieses besondere Licht, schon begegnet. Und nun wurde mit ihm eine Künstlertradition fortgesetzt, unter gänzlich anderen Umständen – im Schatten des Mauerbaus – und mit einer neuen Landschaftsauffassung. Gelebt haben sie allerdings, das betont der heute 90-jährige Bildhauer im Gespräch, wie die Romantiker, sehr spartanisch: ohne Strom und fließendes Wasser. Die häufig vorkommenden Skorpione haben sogar als Motive in seine Kupferstiche Eingang gefunden.
Der Initiative von deutschen Künstlern war es im Jahr 1873 zu verdanken, dass „Die Serpentara“ erhalten, zu einem Künstlerrefugium ausgebaut und schließlich zur Außenstelle der Akademie der Künste werden konnte. Eine Gruppe von Künstlern um den Karlsruher Landschaftsmaler Edmund Kanoldt verhinderte die drohende Abholzung des Steineichenwaldes in einer spontan organisierten Rettungs- und Spendenaktion, die heute wohl als Crowdfunding bezeichnet werden würde. Nach wenigen Monaten war das nötige Geld beisammen und das hügelige Gelände mit einem Baumbestand von 98 Eichen ging für 2.350 Lire an die Künstler über. Um das Grundstück langfristig zu sichern, schenkten sie es dem Kaiser; nun Reichsbesitz, wurde es zur Betreuung und Pflege der Königlich Preußischen Akademie der Künste in Berlin anvertraut. Mit der Überwachung vor Ort war ab den 1890er-Jahren der seit langem in Rom lebende Kassler Bildhauer Heinrich Gerhardt betraut. Er war es, der, nachdem die Kaiserliche Botschaft in Rom eine Bebauung des Grundstückes untersagt hatte, in Eigeninitiative direkt neben dem Eichenhain ein Grundstück kaufte und darauf ein Haus mit Künstler-Ateliers erbaute. Zur Eröffnung am 3. Juni 1906 entsandte die Akademie der Künste ihren Ersten Ständigen Sekretär Ludwig Justi. Heinrich Gerhardt vermachte Grundstück und Villa schließlich testamentarisch der Akademie, die nach seinem Tod 1915 das Erbe antrat. Seither konnte die Akademie Künstler zu Arbeitsaufenthalten nach Olevano entsenden, mit Unterbrechungen in der Zeit des Ersten und Zweiten Weltkriegs.
1945 wurde die Villa Serpentara wie die anderen Immobilien der deutschen Institutionen in Italien von den Alliierten beschlagnahmt. In den 1950er-Jahren begannen langwierige Rückgabeverhandlungen, da die Rechtsnachfolge der Preußischen Akademie der Künste für die Villa Serpentara und die Villa Massimo in Rom strittig war. 1956 wurde es konkret: In der Folge des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Italien unterzeichneten bilateralen Kulturabkommens wurde die Rückgabe der Villa beschlossen. In den darauffolgenden Jahren wurde das heruntergekommene Haus inspiziert und notdürftig instand gesetzt. Der in Rom lebende Jurist Dr. Erich Bendheim, der auch schon die Rückgabeverhandlungen geführt hatte, war als engagierter Verwalter vor Ort unersetzlich. Ab Herbst 1961 sollte, so der Wunsch der Akademie und des Senats für Volksbildung in Berlin, die Villa endlich wieder von Künstlern bewohnt werden. Die finanzielle Situation der Akademie und die unsichere politische Lage standen dem zunächst ebenso entgegen wie die fragwürdige Statik der Villa und der verwilderte Eichenhain sowie ausstehende unbedingt notwendige „Unterhaltungsarbeiten“. Im Frühsommer 1961 nimmt sich Maria von Buttlar, die Frau des Generalsekretärs der Akademie der Künste, Herbert von Buttlar, im Auftrag der Akademie der Villa an. Es gelingt ihr „in bewundernswerter Weise“ die „vorläufige Bewohnbarkeit“ sicherzustellen: Sie beschafft Möbel, verhandelt mit den Firmen und Behörden vor Ort und übersiedelt mit ihren drei Söhnen zum Probewohnen in die Villa. Am 13. September 1961 wird die Villa Serpentara – auf Wunsch der außenpolitischen Instanzen „in einfachster Form“ – in Anwesenheit des deutschen Botschafters und von Vertretern der Kulturinstitutionen in Rom eröffnet. Seitdem vergibt die Akademie der Künste Aufenthaltsstipendien für Künstlerinnen und Künstler in Olevano.
Anneka Metzger